Montag, 14. Juli 2014

Schicksalsbus (1964)

Als ich ca. 3 war, war meine Mutter im Krankenhaus und mein Vater machte sich mit uns Schwestern (damals drei) auf den Weg dorthin, um sie zu besuchen. Da wir an der Bushaltestelle sitzend auf den Bus warten mussten, erzählte mein Vater uns eine Geschichte zum Zeitvertreib. Als der Bus kam, war er noch nicht fertig mit seiner Erzählung und meine älteste Schwester bekniete ihn, die Geschichte zuende zu erzählen.

Im Bus selbst war es damals üblich, dass man nicht redete, also musste mein Vater entscheiden, ob wir diesen Bus nehmen oder er die Geschichte zuende erzählt. Er entschied sich für die Geschichte.

Als wir dann später im nächsten Bus saßen (Bild von einem Mönchengladbacher Bus der 1960er) und nach einer Weile nicht mehr weit vom Krankenhaus entfernt waren, war plötzlich die Straße gesperrt. Es hatte einen schweren Verkehrsunfall gegeben. Der Bus, den wir nicht genommen hatten, war verunglückt. Es gab Schwerverletzte und Verletzte, hieß es.

Über eine Umleitung gelangten wir schließlich zum Krankenhaus. Dort lagen überall schmerzleidende und blutende Verletzte des Unfalls auf den Fluren. Dabei hatte man uns extra ein Seitentreppenhaus nehmen lassen, aber selbst da, standen Betten mit Verletzten auf jedem Absatz. Ich erinnere mich gut an eine Frau, die offenbar eine Ladung kleiner Glassplitter in's Gesicht geschleudert bekommen hatte.

Als wir endlich bei meiner Mutter ankamen, fanden wir sie völlig aufgelöst und Tränen überströmt vor. Wir hatten ja mit diesem verunglückten Bus kommen wollen und deshalb hatte sie angenommen, dass wir mit zu den vielen Verletzten gehörten, die im Krankenhaus eingeliefert worden waren. Sie konnte noch lange gar nicht aufhören zu schluchzen, weil der Schock ihr so tief in die Knochen gefahren war.

Tja, heute würde meine Mutter uns über Handy angerufen haben, um zu testen, ob sie sich überhaupt Sorgen machen muss und heute würde mein Vater meine Mutter sofort angerufen haben, nachdem er vom Unfall erfahren hatte, um Entwarnung zu geben. Aber heute wären wir auch in den Unglücksbus gestiegen; denn Reden im Bus ist ja kein Tabu mehr.

So aber haben mein Vater, meine Schwester und ein Tabu unsere Leben und Unversehrtheit gerettet.

Ute Ziemes, privat.utez.de,

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