Mit 44 habe ich eine Chemotherapie machen müssen. Dabei verlor ich sämtliche Körperbehaarung. Ein Neustart des Haarwachstums fand bei mir erst sehr spät nach der Chemo statt, ging nur sehr langsam voran und blieb bis heute (sieben Jahre später) deutlich hinter dem Status von vorher zurück. Die Augenbrauen sind erst weit nach der Chemo ausgefallen und bis heute erst wieder einlagig gewachsen und nur sichtbar, wenn ich sie färben lasse. Mein Kopfhaar ist erst mit 50 so weit gewesen, dass es, zwar immer noch mickrig, aber nicht mehr krank wirkte. Angesichts der Tatsache, dass mein Kopfhaar vorher schon schwach ausgebildet war, ist das traurig. Immerhin habe ich durch das Neuwachstum auch eine frische Naturhaarfarbe erhalten, obwohl ich vorher schon deutlich ergraut war. Anfangs fand ich das nicht so toll, weil ich ein hübsches Grau hatte und ich das gern wieder gehabt hätte, aber mittlerweile finde ich, dass es was hat, dass ich immer älter werde, aber nicht grau. Das trägt zwar nicht hilfreich zur Klärung der alternden Identität bei, führt aber nicht nur bei mir sondern auch bei anderen zu interessanten Irritationen. Leider sind mir aber nicht auch frische Gesichtshautzellen und Zähne gewachsen, die dazu passen würden. Also eigentlich sehe ich aus wie ein Unikum, im kauzigen Sinne.
Eindrücke:
Zeilenweise von links nach rechts:
44, kurz vor der Chemo mit langen Haaren
44, während und nach der Chemo mit Glatze
45, nach vielen Monaten des wiedereinsetzenden Haarwachstums mit kahlen Stellen
44, mit Kappe auf Glatze
44, mit Perücke
50 wieder mit eigener Frisur (Passfoto ohne Brille)
Als ich im Kindergartenalter war, klapperte meine berufstätige Mutter mit mir sämtliche erreichbaren Kindergärten ab, um für mich einen Kindergartenplatz zu finden. Während meine Mutter mit Erzieherinnen sprach, wurde ich entweder an Spielgerät oder aber beiseite gesetzt und sah den anderen Kindern beim Spielen zu.
Die hatten da so viel und da waren so viele Kinder. Das schien mir das Paradies zu sein. Es gab aber keinen Platz mehr für mich. Ich war in einem geburtenstarken Jahrgang geboren und hatte schlicht Pech. Ich war sehr traurig, als ich erfuhr, dass ich nur gesehen hatte, was ich niemals haben werde.
Statt massenhaft sozialer Erfahrungen, Lernen, Spiel, Gesang und Üben in Feinmotorik, kamen auf mich nun drei Jahre zu, die man so zusammenfassen kann: Ohne Mutter, ohne Schlüssel und ohne Kindergartenplatz.
Auf die Schule freute ich mich. Endlich würde ich gefördert, war meine Annahme. Meine daher rührende freudig aufgeregte Kommunikation mit der Lehrerin parrierte diese jedoch schon am ersten Tag mit "Psst!" und einem auf die Lippen gelegten Finger.
Außerdem war die Klasse zum Bersten voll mit Kindern, die einzeln keine Beachtung fanden.
An einem Tag der ersten Woche bastelten wir mit Kreppbändern, die wir zu Zylindern drehten, Küken. Das war das erste Mal, dass ich überhaupt bastelte. Entsprechend stolz war ich, dass ich es hinbekommen hatte. Mindestens einer Klassenkameradin schien es jedoch ein dringendes Bedürfnis zu sein, mein Resultat abzuwerten. "Wie sieht das denn aus?", sagte sie zu mir und ihren Freundinnen, "Ist das aber hässlich!".
Meine Mutter holte mich an dem Tag von der Schule ab und sie fragte, wie es war. Ich berichtete vom Basteln und zeigte ihr mein Küken. In meinen Stolz mischte sich die Wahrnehmung der Abwertung: "Da drüben das Mädchen hat gesagt, mein Küken wäre hässlich." Mutter: "Ach was, das stimmt doch gar nicht. Ich finde dein Küken schön. - Hat dir das Basteln denn Spaß gemacht?" Ich: "Ja! Aber ich kann das noch nicht so gut." Mutter: "Das ist nicht schlimm. Das lernst du noch." - Wir bastelten im ersten Schuljahr jedoch nicht mehr. Und bei den seltenen späteren Bastelarbeiten stand ich immer wieder am Anfang.